Geschichte der BürgerStiftung Hildesheim

Von Reinald Bever, Vorstandsvorsitzender

Stiftungen – immer wieder neu erfunden.

Das Jahr 2000 geht zu Ende, das letzte Jahr des 20. Jahrhunderts und das erste der 2000er Jahre. Noch im Dezember 2000 hatte in Washington der Supreme Court George W. Bush den Sieg in der Wahl zum 43. Präsidenten der Vereinigten Staaten zuerkannt (nach allerdings keineswegs so turbulenten Tagen wie zu Anfang des Jahres 2021 dem 46. Präsidenten der Vereinigten Staaten Joe Biden). Das neue Jahr 2001 sollte das Gründungsjahr der BürgerStiftung Hildesheim werden wie das Jahr 2021 das ihres 20jährigen Bestehens. Die damaligen Erfahrungen mit dem ausgeprägten philanthropischen Verhalten amerikanischer BürgerInnen sollten nicht ohne Einfluss bleiben.

Ein Blick zurück

Wir blicken zurück auf eine Jahrhunderte alte europäische Stiftungsgeschichte; bereits Platon hatte im Jahr 347 v. Ch. in Athen mit seiner Akademia eine fast 900 Jahre bestehende, immer wieder neu belebte Philosophenschule gestiftet. Das deutsche Stiftungswesen hat eine über 1100jährige Geschichte. Als älteste, immer noch im Sinne ihrer Stifter wirkende Stiftungen in Deutschland gelten:

  • die Vereinigten Pfründnerhäuser Münster, ein Zusammenschluss mehrerer Einzelstiftungen, deren Ursprünge als Armenhäuser, Altersherbergen oder Pfründe teils bis ins 9. Jahrhundert zurückreichen.
  • die im 10. Jahrhundert durch Edelfrau von Winpurk als ein Hospitium für Arme und Reisende gegründete Hospitalstiftung Wemding (Lkr. Donau-Ries).
  • die Johannishofstiftung Hildesheim, gegr. 1167 durch Rai[1]nald von Dassel ( 1114 / 2 0 – 1167, Erzbischof von Köln und Kaiserlicher Kanzler von Kaiser Friedrich I. Barbarossa) als Hospitalstiftung zur Hilfe für Arme.
  • das St. Johannis-Jungfrauenkloster Lübeck. Kirche und Kloster wurden im Jahr 1177 von Bischof Heinrich I. konsekriert. In den Wohnungen der Stiftung leben gemäß der Stiftungssatzung alleinstehende Damen, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und bei denen eine Bedürftigkeit im Sinne der steu[1]erlichen Bestimmungen vorliegt.
  • das jedenfalls seit 1184 urkundlich nachgewiesene Magdalenen Hospital Münster, eine brüderschaftliche, jetzt städtische Einrichtung. Die Stiftung bietet Wohnmöglichkeiten sowie Hilfsangebote für hilfsbedürftige alte Menschen.

Nicht mehr genau zu datieren, aber vor fast tausend Jahren sind auch

  • der Hospitalfonds Sankt Benedikti in Lüneburg,
  • die St. Dominikus- und Blatternhaus-Stiftung in Kaufbeuren und
  • die St. Elisabeth-Hospital-Stiftung in Ellingen gegründet worden.

Waren im 17. Jahrhundert in Deutschland Stiftungen grundsätzlich respektiert, brachte die Aufklärung eine stiftungsfeindliche Stimmung mit sich und für den Staat das Recht, wohltätige Stiftungen zu seinem Nutzen umzuwandeln. Staatliche Säkularisationsmaßnahmen des beginnenden 19. Jahrhunderts führten zu einem wahren Stiftungssterben.

Erfolge und Rückschläge…

Das Stiftungswesen konnte sich aber gegen Mitte des 19. Jahrhunderts erneuern. Im Ergebnis stellt sich das sog. lange 19. Jahrhundert, das „bürgerliche Zeitalter“, mit 100.000 deutschen (zumeist Treuhand-)Stiftungen am Ende wieder als stiftungsfreundlich dar. Kapital, bürgerliches Interesse sowie nun wieder staatlicher Stiftungsschutz hatten das möglich gemacht.

Rückschläge ließen aber nicht lange auf sich warten: Als Folge des Ersten Weltkrieges, der Inflation Anfang der 20er Jahre, nationalsozialistischer Gewaltherrschaft, des Zweiten Weltkrieges, der Zerstörung, unterschiedlicher Besatzungsverwaltungen u.v.m. kam es in Deutschland seit Beginn des 20. Jahrhunderts erneut zu einem kräftigen Einschnitt in das Stiftungswesen, von dem sich viele, vor allem private Stiftungen nicht erholen konnten. Mit der Währungsreform 1948 in der Trizone regenerierte sich aber allmählich das Stiftungswesen und erlebte nach 1950 einen beachtlichen Aufschwung.

Zwischen 1980 und 1995 kam es vor allem angesichts erheblichen (Erb-)Vermögens zu einem enormen Anstieg von Neugründungen rechtsfähiger Stiftungen (2.600 Neugründungen, das sind 35 % aller im Jahr 2000 bestehenden Stiftungen). Auch nach der Jahrtausendwende setzte sich dieser Trend weiter fort. Mit 1134 neu gegründeten Stiftungen stellt das Jahr 2007 einen Höhepunkt der Stiftungsgründungen dar. 2019 wurden 576 Stiftungen neu errichtet. Mit 712 Neuerrichtungen lag das Jahr 2020 deutlich über den Gründungszahlen der letzten 8 Jahre.

Dynamischer Wandel

Der vorangestellte kurze geschichtliche Abriss macht vor allem deutlich: Der Erfolg des Stiftungswesen hängt von vielen unterschiedlichen gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Faktoren ab. Langfristig bleibt das einem dynamischen Wandel unterliegende Stiftungswesen aber relevant und ist zu Beginn des 21. Jahrhunderts bis heute wieder so aktuell wie in der Vergangenheit. In Deutschland sind es Ende 2020 – ohne die Kirchenstiftungen – mehr als 23.870 Stiftungen bürgerlichen Rechts. Zwischen Staat, Markt und Privatsphäre haben gemeinnützige Stiftungen einen eigenständigen hohen Stellenwert. Mäzenatentum, Wohltätigkeit, Philanthropie, Ehrenamtlichkeit haben bedeutenden Anteil an ihrer Verwirklichung.

Das hat seine Gründe in dem angewachsenen hohen Vermögen in privater Hand, den dauerhaft geordneten politischen und finanziellen Verhältnissen, dem in Teilen „schlanken“, weil verschuldeten Staat, der viel Raum für Förderungen lässt, dem sozialen Verantwortungsbewusstsein seiner Bürgerinnen und Bürger und einem breit aufgestellten sozialen Engagement. Hinzu kommen Sicherheiten durch die Unterstellung der Stiftungen unter eine staatliche Stiftungsaufsicht und die Schaffung eines das Stiften begünstigenden Steuerrechts.

Wie es weitergeht, wird die Zeit zeigen.

Stiftungen müssen sich stets den geänderten Verhältnissen stellen, wenn sie für Philanthropinnen und Philanthropen attraktiv bleiben wollen. Die Diskussion um die aktuelle Stiftungsrechtsreform zeigt da Stärken und Schwächen auf, auf die zu reagieren Aufgabe der Stiftungsverantwortlichen ist. Empathie und ein transparentes Handeln für das Anliegen des Gemeinwohls sind Stärken gerade der bürgerschaftlich basierten Bürgerstiftungen.

Gründung der BürgerStiftung Hildesheim 2001

In dieser also günstigen Ausgangslage kommt es zur Gründung der fördernd und operativ tätigen BürgerStiftung Hildesheim. Als eine moderne Variante waren 1995/1996 in Deutschland erste Bürgerstiftungen nach dem Vorbild der amerikanischen community foundation entstanden, der mit über 86.000 (2018) – in der Regel hoch dotierten – Stiftungen größten Nation der Philanthropie.

Bürgerstiftungen sind gemeinnützige (Gemeinschafts-)Stiftungen – von Bürgern für Bürger – mit einem auf Dauer angelegten breiten Stiftungszweck. Zudem sind Bürgerstiftungen üblicherweise in einem geographisch begrenzten Raum verankert. Bereits im Jahr 2000 fanden Bürgerstiftungsvertreter im Arbeitskreis Bürgerstiftungen in Dresden ein einheitliches Anforderungsprofil an Bürgerstiftungen, die sogenannten „10 Merkmale einer Bürgerstiftung“ (https://www.buergerstiftungen.org/de/buergerstiftungen/10- merkmale/), deren Einhaltung seitdem mit einem Gütesiegel des Bundesverbandes Deutscher Stiftungen ausgezeichnet wird. Dieses Gütesiegel führt die BürgerStiftung Hildesheim seit Oktober 2003.

Vorgeschalteter „Initiative Bürgerstiftung Hildesheim e.V.“

Nach umfangreicher Vorarbeit war zur Gründungsfeier der BürgerStiftung Hildesheim am 17. November 2001 in den Großen Sitzungssaal des Rathauses eingeladen worden. Die Begrüßung erfolgte durch den Vorsitzenden des Initiative Bürgerstiftung Hildesheim e.V. Dr. Hans-Peter Geyer, ein Grußwort sprach der damalige Oberbürgermeister Kurt Machens. Prof. Dr. Christian Pfeiffer, seinerzeit Justizminister des Landes Niedersachsen, hielt die Festrede und berichtete über seine Erfahrungen mit dem ausgeprägten philanthropischen Verhalten amerikanischer BürgerInnen. Prof. Pfeiffer engagierte sich stark für die hinter den Bürgerstiftungen stehende Idee und hatte vier Jahre zuvor die Bürgerstiftung in Hannover mit ins Leben gerufen.

Der Initiativ-Verein war am 5. April 2001 in der Wohnung des späteren Vorsitzenden des Vorstandes der Bürgerstiftung Dr. Hans-Peter Geyer von sieben Mitgliedern gegründet und am 4. Mai im Vereinsregister des Amtsgerichts Hildesheim eingetragen worden. Nach Gründung der Bürgerstiftung, ihrer aufsichtsbehördlichen Genehmigung am 6. Dezember 2001 und der vorläufigen Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit am 17. Dezember 2001 beschloss der Vorstand des Initiativ-Vereins am 1. Februar 2002 die Vereinsauflösung.

Der langjährige Vorsitzende des Stiftungsvorstandes, Dr. Hans-Peter Geyer, fasste jüngst seine Beweggründe zur Gründung der BürgerStiftung Hildesheim so zusammen:

          „Ende des Jahres 2000 entstanden bei mir erste Überlegungen zur Errichtung einer                 Bürgerstiftung in Hildesheim. Die Idee des Stiftens in einer Gemeinschaft  faszinierte mich, da sich dort der Einzelne auch mit mittleren Beträgen wirksam und nachhaltig für das Gemeinwohl in der Region engagieren kann. Nach ersten Gesprächen im Freundes- und Bekanntenkreis verfestigte sich      die Idee, weil sie überall sofort auf positive Resonanz stieß. In der „Initiative BürgerStiftung Hildesheim“ wurden alle notwendigen Vorarbeiten zur Errichtung der Stiftung am 17. November 2001 getroffen.“

Besetzung der Stiftungsgremien

Der gewählte Vorstand der Stiftung nahm seine Arbeit im Januar 2002 auf. 70 Stiftungsgründer hatten ein Startkapital von 114.000 Euro zusammengetragen. Der erste Vorstand setze sich zusammen aus Dr. Hans-Peter Geyer (Vorsitzender bis 2017), Dr. Karlheinz Bartels und Detlef Reinecke.

Der Stiftungsrat war besetzt mit Klaus-Dieter Krömmling (Vors.), Prof. Martin Bertrand, Helge Hilgert, Gerd Rump, Angelika Kleideiter und Peter Steffens.

Alle Stiftungsorgane waren ehrenamtlich tätig, die Kosten wurden zum größten Teil von Sponsoren übernommen. Daran hat sich bis heute nichts geändert.

Sie finden diesen geschichtlichen Abriss auch in dem Jubiläumsmagazin auf dieser Homepage mit weiterer Illustration: 

“20 Jahre-Jubiläumsbroschüre”   zum Durchblättern klicken Sie hier.

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